Das ist eine gute Rezension der LP „Moral Panic“. Vielen Dank, Herr Christoph Kutzer. Ich war wohl ein bisschen ungeduldig, sorry. Es freut mich sehr, wenn die Songs so aufgenommen werden. Es ist wirklich kein leicht zugängliches Album, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht „poppiger“ wirkt als das, was man von uns gewohnt ist. Die „Radikalität“ steckt im Detail. Herr Kutzer bringt es auf den Punkt. Ich hätte es selbst nicht besser sagen können!
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Musik vom Platz zur linken Gottes: REVEREND ELVIS AND THE UNDEAD SYNCOPATORS verursachen „Moral Panic“
Mögt Ihr abgefuckte Musik für abgefuckte Leute? Nein, ganz sicher beschreibt das nicht alle Songs auf „Moral Panic“ (Suzy Q Records), dem neuen Album von REVEREND ELVIS AND THE UNDEAD SYNCOPATORS. Ebenso so sicher ist es aber die Perfekte Umschreibung von „You Fucked Me Up“. Der Songtitel ist unsensibel? Wartet, bis Ihr die Musik hört. Die Gitarre ist verstimmt und lärmt, in den Lyrics wird garantiert keine euphemistische Abkürzung wie „F-Wort“ verwendet. Fuck!
Die andere Seite des Reverend ist eine melancholische Feinfühligkeit. „The Boy Who Wouldn’t Hoe Corn“ von ALISON KRAUSS oder die unprätentiöse Version von LASZLO JAVORS „Gloomy Sunday“, einem Lied aus den 1930er Jahren, das angeblich so düster war, dass es Menschen in den Selbstmord trieb, sind zwei leuchtende Beispiele dafür. Es geht nicht um kalkulierte und kitschige Melancholie. Sie kommt in reduziertem Gewand daher. Pur. So pur und direkt, wie REVEREND ELVIS in jedem Moment dieser Platte (wie auch auf anderen Aufnahmen) klingt. Die radikale Haltung dieser Musik ist Punk.
Das musikalische Fundament sind Bluegrass, Blues, Country… Künstler, die hier und da angeeckt sind. Wer könnte auf der „Left Hand Side Of God“ sitzen? Gabriel? Niemand? Oder der, der eben auch mit dem linken Pfad verbunden ist? REVEREND ELVIS interpretiert die Nummer von JIMMY DRIFTWOOD (1907-1998) mit Banjo und Kontrabass-Begleitung jedenfalls auf eine Weise, die betont, dass es völlig Ok ist, sich an einem anderen Ort zu befinden, als die (vermeintlich) Auserwählten. Ich schätze, er würde sagen: Ich bin ein Sünder. Weil ich ein Mensch bin. Na und? Kein Grund für „Moral Panic“.
Keine Panik! Nicht einmal dann, wenn Ihr den Titel „Cry Me A River“ lest. Nein, das ist kein JUSTIN TIMBERLAKE-Cover. Es ist der gute alte ARTHUR HAMILTON- Song, der zum Jazzstandard wurde und (unter anderem) von ELLA FITZGERALD interpretiert wurde. Mit ein paar Hand-Claps und minimalem Hintergrundgesang von den UNDEAD SYNCOPATORS unterstützt, serviert uns REVEREND ELVIS eine fantastisch swingende Version. Ja, ein gebrochenes Herz ist ätzend. Aber hält es einen zwingend davon ab, zu feiern und Spaß zu haben? Seltsamerweise tut es das nicht. Und ist es nicht auf eine Art rebellisch, sich nicht von Liebeskummer überwältigen zu lassen? Rebellion ist der Schlüssel.
Ob „Mama Tried“, geschrieben von MERLE HAGGARD (1937-2016), oder „I Am A Good Ol’ Rebel“ mit selbst geschriebenen Texten des Reverend… Freiheit und Unangepasstheit sind die Essenz dieser Musik. Wie auch immer man sie nennt.
Death Country könnte als Orientierungshilfe dienen. Das ist aber nicht alles. Handgemachte Musik für Querköpfe, die Gefühle nicht verleugnet, um ein Image aufrechtzuerhalten. Ich hoffe, das trifft den Nagel mehr oder weniger auf den Kopf. Oft heißt das, dass Songs ganz aufs Wesentliche reduziert werden. Nehmen wir die Schlussnummer „Unchained Melody“. Ursprünglich 1955 geschrieben und von Künstlern von Elvis über Bing Crosby oder Roy Orbison bis hin zu Cindy Lauper gecovert, ist das ein extrem beliebtes und geschmeidiges Lied. Auf „Moral Panic“ klingt es immer noch eingängig, aber auch ein bisschen kratzig. Die Gitarre ist nicht krachig, aber trotzdem roh. Keine Effekte. Keine Extras. Nur die Melodie. Die Stimme. Das Instrument.
Vielleicht sind am Ende all die polierten Plastikprodukte viel abgefuckter als das hier. Dieses Album ist wunderschön. Den Titeltrack „Moral Panic“ gibt es unter diesem Link: www.youtube.com/watch?v=j97Wcai2Llc